Von Frank Hartung auf Dienstag, 14. Juli 2020
Kategorie: Urteile in Sachen Diesel-Abgasbetrug

Bei abgasmanipulierten Diesel-Fahrzeugen ist auch Klage in anderen EU-Ländern möglich

Gerichtsstand: EU/Schweiz - wo kann der vom Abgas-Skandal Betroffene den PKW-Hersteller verklagen?

Mit Urteil vom 09.07.2020 unter dem Aktenzeichen C 343/19 hat der Europäische Gerichtshof ein weiteres verbraucherfreundliches Urteil gegen Autobauer gefällt.

Danach haben nunmehr Verbraucher auch außerhalb Deutschlands die Möglichkeit, ihre Rechte gegen Volkswagen AG in ihren Heimatländern einzuklagen. Dies war bislang noch nicht vom Europäischen Gerichtshof entschieden worden. Siehe dazu auch: Pressemitteilung des EuGH

In dem Verfahren des Europäischen Gerichtshofs, welches vom Landgericht Klagenfurt dem Gerichtshof zur Entscheidung vorlegt wurde, ging es um 574 Verbraucher von manipulierten PKW der Marke VW, welche ihre Rechte zur klageweise Geltendmachung an einen Verbraucherverein aus Österreich abgetreten hatten. Üblicherweise muss eine Klage am zuständigen Gericht des Landes eingereicht werden, in dem der Beklagte seinen Geschäftssitz oder seinen Wohnsitz hat. Dies wäre bei der Volkswagen AG Deutschland.

Im Vorgriff auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs hat der Generalanwalt des EuGH in seinem Schlussantrag für den vorliegenden Fall eine Wahlmöglichkeit gesehen. Da es sich bei den Ansprüchen gegen Autohersteller wegen Abgasmanipulationen um Ansprüche aus unerlaubten Handlungen handelt, sind diese unerlaubten Handlungen und ihre Folgen in verschiedenen EU-Mitgliedsstaaten zu verorten. Zum einen an dem Ort, an dem der Schaden eingetreten ist, sprich an dem der Schadenserfolg verwirklicht wurde. Und zum anderen an dem Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist, also Ort des für den Schaden ursächlichen Geschehens.

Im Fall des Landgerichts Klagenfurt wurden die betroffenen Fahrzeuge in Österreich bei dort niedergelassenen Kraftfahrzeughändlern zum Kauf angeboten. Dort hat sich also der Schadenserfolg verwirklicht, da in Österreich Käufer durch den Kauf mangelhafter PKW geschädigt wurden.

Der EuGH ist entsprechend der Auffassung des Generalanwalts gefolgt: 

Werden Fahrzeuge von ihrem Hersteller in einem Mitgliedsstaat in Deutschland rechtswidrig mit einer Manipulations-Software ausgerüstet und anschließen in einen anderen Mitgliedsstaat wie z.B. Österreich ausgeliefert und dort von Verbrauchern gekauft, so kann im Staat des Verbrauchers Klage eingereicht werden.

In der Einigung, prozessual auch als Vergleich bezeichnet, welcher im Musterfeststellungsklageverfahren zwischen Verbraucherzentrale Bundesverband und der Volkswagen AG geschlossen wurde, waren Verbraucher außerhalb Deutschlands von der Teilnahme an diesem Vergleich ausgeschlossen.

Die Anspruchsdurchsetzung ist deshalb durch das EuGH-Urteil nunmehr wesentlich einfacher.

Dennoch kann es von Vorteil sein, dass ein EU-Bürger den Gerichtsstand in Deutschland wählt, weil nicht nur vom Bundesgerichtshof, sondern auch von deutschen Land- und Oberlandesgerichten eine sehr verbraucherfreundliche Rechtsprechung gegen PKW-Hersteller im Diesel-Abgasskandal herrscht.

Das Urteil des EuGH betrifft nicht die Schweizer Bürger. Sie können deshalb nicht von diesem EuGH-Urteil profitieren.

Allerdings gilt nach dem Lugano-Übereinkommen die Möglichkeit der Wahl eines Gerichtsstandes. Da sich bislang jedoch in der Schweiz keine positive Rechtsprechung zu Schadensersatzansprüchen gegen Autohersteller gefestigt hat, ist es ratsam, als Wahlgerichtsstand Deutschland zu nehmen.

Damit können die Erfolgschancen, dass der vom Abgasskandal betroffene PKW-Eigentümer vor Gericht Erfolg haben wird, von Anfang an wesentlich erhöht werden.

Fazit und Empfehlung

Sofern bereits eine gesicherte verbraucherfreundliche Rechtsprechung in einem anderen EU-Mitgliedsstaat außer Deutschland vorhanden ist, so spricht grundsätzlich nichts dagegen, dass Verbraucher am Wohnort ihres EU-Mitgliedsstaates klagen.

Sofern allerdings keine gefestigte oder sogar eine nicht verbraucherfreundliche Rechtsprechung im Wohnsitz-Staat vorhanden ist, welche hingegen in Deutschland durchaus vorhanden ist, so ist es empfehlenswert, in Deutschland den Hersteller zu verklagen.

Unabhängig hiervon ist das jeweils anwendbare Recht zu berücksichtigen. Denn auch wenn in Deutschland geklagt wird, so ist es dennoch möglich, dass dasjenige Recht anzuwenden ist, welches für den Verbraucher gilt.

Für betroffene Schweizer Bürger kann dies zur Konsequenz haben, dass vor einem deutschen Gericht geklagt wird, aber Schweizer Recht anwendbar ist. Da das Schweizer Zivilrecht bei Ansprüchen aus unerlaubter Handlung vergleichbar mit dem Deutschen Zivilrecht ist, auch was die Verjährungsfristen anbelangt, so ist auch dies bei der Abwägung, wo und wann eine Klage eingereicht wird, immer zu beachten.

Außerdem besteht die Möglichkeit, mit Herstellern einen Gerichtsstand zu vereinbaren, wonach innerhalb Deutschlands, z.B. in der Grenzregion zur Schweiz, ein Gerichtsstand ausgewählt wird, an welchem ein Klageverfahren durchgeführt werden soll.

Wichtig ist, egal wo geklagt wird, dass die Ansprüche nicht verjähren.

Lassen Sie deshalb baldmöglichst individuell prüfen, ob Ihnen Schadensersatzansprüche zustehen und wann diese verjähren könnten.
 

Anwaltskanzlei Fehrenbach

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